Laudatio von Lucie Sommer-Leix
Laudatio auf das Werk von Angela Eberhard „Goldener Schnitt“
Tatsächlich sehen Sie hier noch menschengemachte Kunst. In Zukunft kann das anders sein. Was wir vor ein paar Jahren noch für Sciencefiction gehalten haben, ist durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz bereits und fast erschreckend real geworden und obendrein in einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit.
Wir alle sind davon betroffen und stehen bereits heute an der Schnittstelle von organischem zu anorganischen Netzwerken.
Die Biochemie eines menschliches Gehirns funktioniert eklatant anders als Mikroprozessoren, die nie schlafen, nie vergessen, nie sterben, in sekundenschnelle eine weltweite Informationsflut koordinieren, regulieren und vor allem emotionslos ohne Herz und sozialem Gewissen handeln. Gefüttert werden sie mit Informationen von überarbeiteten Menschen, deren Gehalt von der Menge eingegebener Informationen abhängig gemacht ist...was unausweichlich zu Fehlern führen wird. Es stellt sich mir die Frage, ob wir eines Tages noch die undurchschaubaren Algorithmen und Prozesse verstehen und händeln können? Wird dann ein Individuum aus Fleisch und Blut noch eingreifen und Entscheidungen treffen können, wenn wir nicht einmal mehr feststellen können ob wir es mit einem Menschen oder einem künstlichen Chatbot zu tun haben, der sich als Mensch ausgibt.
Vielleicht denken Sie , dass ich mich mit der Laudatio auf das preisgekrönte Werkes irgendwie verstiegen habe? Mitnichten!
Die Skulptur von Angela Eberhard greift auf den zweiten Blick auf subtile Weise diese Problematik auf. In Ihrer Stille spricht diese Skulptur über das Menschsein!
Eine Schnittstelle, wie ein Spiegel, glänzend golden, befindet sich anstelle des Gesichts. Damit ist jedoch nicht nur das Thema „Schnittstelle“ optisch dargestellt, sondern verhindert gleichermaßen die wahre Identität des Individuums, das abgeschnitten und nur noch distanziert existiert.
Der Betrachter kann sich verschwommen in der goldenen Fläche reflektieren und gespiegelt finden.
Hinter dieser Idee könnte stecken, dass sich Menschen oft durch die Augen anderer sehen, oder vielleicht auch, dass sich der Mensch selbst noch nicht wirklich kennt.
Die Skulptur wirft auch die psychologische Frage auf, wie sehen wir uns selbst und wie werden wir von anderen wahr genommen?
Zeitkritisch werden wir uns in Zukunft vielleicht zusätzlich die Frage stellen müssen: Wer ist wer und wer ist echt oder wie echt sind wir noch?
Die Haltung und die schwarze Kleidung der Skulptur erinnert an Skulpturen von Stephan Balkenhol und könnte für Konformität oder gesellschaftliche Normen stehen, der sich dieser Mensch unterworfen hat, ob heimtückisch, gezwungener Maßen, oder freiwillig, bleibt offen.
Offensichtlich bleibt, dass sich dieser Mensch sein Gesicht und keine Maske vom Kopf geschnitten hat. Er will sich von einer Fassade distanzieren, die er zuvor repräsentiert hat.
Ginge es bei dem entfernten Gesicht nur um die Darstellung der Diskrepanz zwischen seinem inneren Selbst und dem äußeren Erscheinungsbild, wäre das Gesicht eindeutig als Maske erkennbar und der Kopf nicht völlig gesichtslos.
Ein glatter Schnitt trennt das Gesicht vom Kopf und Körper. Verkörpert das ursprüngliche Gesicht, dass es die Augen vor einem Problem verschließt oder träumt?
Die Radikalität legt nahe, dass eine Distanzierung zur vorhergehenden Haltung vollzogen wurde noch bevor eine neue Identität erlangt wurde. Daraus erkennt man die Dringlichkeit oder, dass die Transformation noch nicht vollzogen ist.
Die Künstlerin konfrontiert uns mit einem „Gesichtsverlust“, den sie jedoch nicht negativ besetzt sehen möchte. Sie hat die radikal glatte Schnittstelle sowohl am Kopf wie am Gesicht vergoldet und damit der schmerzlichen Situation eine besondere Wertigkeit verleihen. Gesichtsverlust zu riskieren und Ehrlichkeit im Umgang mit eigenen Fehlern, der Scham und das Zugeben eigener Irrtümer verlangt vor allem Mut und Selbstverantwortung.
Der schmerzliche Schnitt glänzt bewusst in Gold.
Die Verwendung von Schwarz und Gold kennzeichnet die Schnittstelle zwischen der Dualität von Licht und Dunkelheit. Schwarz steht für das Unbekannte, das Abhanden gekommene, das Vertuschte und oft auch für Leid. Gold hingegen steht für Erleuchtung, für Streben nach Werten und Wahrheit.
Ganz offensichtlich ist dem Unterbewusstsein trotz allem Gesichtsverlust die Erinnerung an innere Werte und dessen individuelles Potential nicht verloren gegangen.
Das 21. Jahrhundert wird solch eine Schnittstelle für uns alle in besonderer Weise darstellen! Es muss sich zeigen, ob wir uns Algorithmen und künstlicher Intelligenz ausliefern, manipulieren und uns durch digitale Systeme auslesen lassen, oder unsere individuellen, vor allem menschlichen, friedfertigen und freiheitlichen Rechte und Werte verteidigen werden.
Liebe Angela der Preis ist wohlverdient. Du hast das Thema „Schnittstelle“ im Zusammenhang unseres gegenwärtigen Zeitgeistes in schmerzlicher, wie auch hoffnungsvoller Weise getroffen.
Auch deine zweite Skulptur, die an den Denker von Auguste Rodin erinnert, obwohl diese keinen muskulösen Körper hat und auch nicht die Hand vor den Mund gelegt und die Augen tief in die Augenhöhlen versenkt sind, erinnert durch seine starre, abwartende und doch recht unbequeme Stellung an den Denker von August Rodin.
Die Gedanken deiner Skulptur werden von fliehenden Vögeln transportiert, womit du den Gedanken deiner Skulptur Flügel verliehen hast. Aber gleichzeitig auch die Flüchtigkeit von Gedanken, von Werten oder der Freiheit impliziert ist. Zumindest kamen dir bei deiner Überlegung eines Titels die Worte Fluchtgedanken Gedankenflucht und in Gedanken fliehen durch den Kopf.
Die Dynamik deiner Vögel, die ja farblich sowohl das helle wie das dunkle Prinzip vertreten, zeigen eindrucksvoll, die Kraft die von Gedanken ausgehen kann.
Gedanken, die zur Tat und schließlich zu einer Realität werden können, natürlich sowohl im Negativen wie im Positiven.
Text: Lucie Sommer-Leix